Lichteinfall
Wort zum Sonntag, Badische Woche vom 9.1.2020
von Pfarrer Walter Boës
Als sich die Augen ans Dunkel des Dachbodens gewöhnt hatten, konnte er nach und nach die Dinge, die die Welt hier oben barg, erkennen: Die alte Kommode. Das roh gezimmerte, tiefe Regal mit allerhand Kartons darauf und Kleidersäcken. Daneben eine Reihe staubiger Koffer und eine alte Pendeluhr, das Pendel still. Und in einer Ecke zwischen Regal und Wand ein einsames Schaukelpferd, trist und grau. Still war es. Und im Dämmerlicht des Dachbodens wirkte es, als ob all die Gegenstände hier oben nur schliefen. Als ob all die Geschichten, die sie erlebt hätten, mit eingeschlafen seien. Nichts regte sich.
Fast nichts. Erst war es ihm gar nicht aufgefallen. Ein schmales Lichtband querte den Raum. Es fiel durch eine Ritze im Fensterladen. Im Lichtband enthüllte sich der tote Speicher als höchst lebendig. Es tanzten tausende kleiner Staubwesen darinnen einen frohen Tanz. Ihm wurde leicht ums Herz. Und er stand auf, zog das Schaukelpferd aus seinem Schattenplatz und stellte es ins Licht. Noch ritt niemand darauf. Und doch war alles anders, als der Sattel des Pferdes in einem kräftigen, lebendigen Rot auf dem Apfelschimmelrücken zu leuchten begann.
In der Epiphaniaszeit feiern wir, dass Gottes Licht in unsere Welt fällt. Gott erscheint in unserer Welt, zuweilen so wie jener Lichtstrahl auf dem Dachboden. Gottes Licht wirbelt Staub auf in unserem Leben, unerwartet oft, und manchmal gerade da, wo wir kein Leben vermuten. Und die Welt wird verwandelt, wenn sie so still steht wie gerade im Lockdown.
Ich will nach dem Lichtband Gottes Ausschau halten. Gerade in diesen Tagen.