Das Wort zum Sonntag - erschienen in: Der Sonntag 15.12.2019
von Pfarrer Walter Boës,
evangelische Lukasgemeinde Karlsruhe
Karlsruhe, Hauptbahnhof. Es ist schon spät. Ich stehe am Gleis und warte. „Ach, würde der Fahrplan nur einmal eingehalten“, denke ich. Die Kälte kriecht mir unter den Mantel. Ungeduldig gehe ich auf und ab. Mein Blick fällt auf den gelben Abfahrtsplan. Uhrzeit an Uhrzeit. Zeile an Zeile, Spalte an Spalte. „Solch ein Abfahrtsplan bestimmt normalerweise mein Leben“, denke ich, „mein Kalender: zu eng getaktet, und immer habe ich Verspätung.“
Advent heißt Ankunft. In der Adventszeit stehen wir am Gleis und warten. Aber es geht nicht um den gelben Abfahrtsplan. Wir stehen am Gleis und sehen auf den weißen Plan, den Ankunftsplan. Alle paar Minuten ist ein Zug angekündigt. Und unser Gott? Wann kommt er zur Welt? Auf seine Ankunft kann ich genauso ungeduldig warten wie auf meinen Zug. Wann kommt unser Gott endlich, diese Welt zu ändern?
Und doch erlebe ich dieses Warten anders: Das ist nicht das Warten mit der Uhr. Das ist wie das Warten auf einen lieben Menschen, mit einem Blümchen in der Hand, voll Vorfreude. Der kalte Beton des Bahnsteigs – gleich werden mir darauf Kinderfüße entgegenspringen. Gleich wird sich aus der Menge der Aussteigenden eine Hand heben – und das Winken wird mir gelten. Der Wind wird nicht weniger rau, die Temperatur nicht weniger frostig. Und doch ist alles anders. Der Bahnsteig: verwandelt. Advent: Warten, das die Welt verändert.
Und ich trage ein Zeichen hinter die Aufgaben in meinen Kalender: zwei überkreuzte Hämmer – diese Aufgabe nur Werktags. Und zur Sicherheit noch: Nicht an Adventssonntagen. Im Advent will ich warten. Mit einem Blumenstrauß, mit Plätzchen, mit Liedern und am besten mit anderen zusammen.